Schon beim ersten Schritt aus dem Flughafentaxi schlägt uns das Leben von Marrakesch entgegen: Lärm, hupende Autos, Menschenmassen, Gerüche von Gewürzen, Abgasen und gegrilltem Streetfood – alles vermischt sich zu einem geordneten Chaos. Zwischen den Gassen huschen Katzen, Händler rufen, und über all dem liegt der Ruf des Muezzins. Der Trubel ist allgegenwärtig, aber auf der Dachterrasse unserer Unterkunft finden wir Ruhe und blicken über ein Meer aus roten Häusern und staubigen Gassen.
Nach zwei Tagen in dieser lauten, lebendigen Stadt sehnen wir uns nach Natur, Stille und Abenteuer – es ist Zeit für das, weswegen wir eigentlich hier sind: Klettern.
Unser Weg führt uns in die Taghia-Schlucht im Hohen Atlas. Schon die Anreise ist ein Abenteuer: Sieben Stunden Fahrt über Berge und durch Dörfer, vorbei an Eseln, die Lasten tragen, und Kindern, die lachend winken. Am Ende wechseln wir in einen Jeep, stehen auf der Ladefläche und rumpeln über einen Schotterweg hinein in die Schlucht – genau im Moment des Sonnenuntergangs. Das Licht taucht die Felswände in leuchtendes Orange. Wir sind sprachlos.
Unsere Unterkunft, die Gîte Taoujdate, wird von Saïd Mesaoudi geführt – ein unglaublich herzlicher Gastgeber. Zum Abendessen gibt es drei Menüs (Lamm, Huhn und Couscous), die alle drei Tage wechseln. Doch diese sind super lecker – wenn nicht besser als in vielen Lokalen! Zum Frühstück gibt es Marmeladen, Nutella, Tee, Löskaffee, Frischkäseaufstrich und jeden Tag Palatschinken. Man wird kreativ mit der Kombination der Aufstriche – sehr zu empfehlen: Nutella und Marillenmarmelade ;) Und was ein wirkliches Highlight war, waren die Nachmittagssnacks. Denn jeden Tag, wenn man zu Hause war, bekam man um ca. 16 Uhr Tee und Brot mit Olivenöl.
Die nächsten Tage sind eine Mischung aus Staunen, Schweiß und Fels. Schon die ersten Touren lassen uns erahnen, was Taghia zu bieten hat: endlose Wände, griffiger Fels, imposante Linien und Sonne – viel Sonne. Besonders eindrücklich bleibt uns die Route „Widi Azry“, ein Klassiker. In weiten Abständen gebohrte Haken, steile Passagen und am Ende ein Gipfel, der das ganze Tal überblickt. Oben sitzen wir im letzten Licht des Tages, müde, sprachlos und glücklich.
An anderen Tagen wechseln wir das Tempo – ein bisschen Sportklettern, Seiltechnik, Baden in kalten Gumpen. Immer wieder entstehen neue Momente, die sich einprägen: der erste Schluck Tee nach der Tour, das gemeinsame Packen des Materials, das Jubeln, wenn jemand sicher aus der Wand zurückkehrt.
Eine weitere Lieblingsroute: „Black Wolf“, eine 7a+ direkt oberhalb unserer Unterkunft. Technisch, schön, mit Aussicht bis weit über die wüstenhafte Landschaft hinaus. Der Fels ist perfekt, die Linie logisch, und am Ende sitzen wir unter einem alten Baum am Gipfelplateau und blicken schweigend ins Tal. Das ist Glück in seiner reinsten Form.
Zwischen den großen Touren gönnen wir uns Pausen – Yoga, Dehnen, Kartenspiele, Datteln knabbern. Selbst das wird zu einem Teil des Erlebnisses. Und immer wieder diese Nachmittage auf der Terrasse, wenn Saïd uns Tee bringt und wir einfach nur das Leben in dieser abgeschiedenen Welt beobachten. Zum Abschluss klettern wir noch die „Enom della Reform“, eine der bekanntesten Linien des Tals. Der Fels ist steil, die Bewegungen fließen – bis plötzlich ein Griff bricht. Zum Glück geht alles relativ glimpflich aus.
Als wir schließlich abreisen wollen, blockiert ein Felssturz die Straße. Wir schultern unsere Rucksäcke und wandern eine Stunde talauswärts, bis das Taxi uns zurück nach Marrakesch bringt. Der Kreis schließt sich – vom Chaos der Stadt zurück in die Ruhe der Berge und wieder hinaus in die Welt.
Taghia bleibt – als Ort, an dem man Fels, Kultur und Menschlichkeit in einer Intensität erlebt, die selten geworden ist. Wer großartige Mehrseillängen und Big Walls sucht, kombiniert mit echter Gastfreundschaft und einer Prise Abenteuer, wird hier sein Paradies finden.
Ich jedenfalls weiß: Ich komme wieder. Denn da gibt’s noch verdammt viel zu klettern.
Daniel Felsner


















